Authentisch sein oder lieber nicht?

Das Thema Authentizität beschäftigt mich schon lange, ohne, dass ich festmachen kann, woran das tatsächlich liegt. Seit einigen Monaten wollte ich dazu einen Blog-Beitrag verfassen. Nur habe ich so viele Gedanken dazu und bekomme sie nicht sortiert. Ich habe schon seit vielen Monaten den Einstieg im Kopf 😊, aber danach will es sich nicht so recht in eine sinnvolle Reihenfolge bringen lassen. Ende Juli 2018 habe ich als Sofortmaßnahme, damit ich die Gedanken zu dem Post endlich loswerde, einen Draft für den Beitrag erstellt – also die Überschrift schon einmal eingetippt. Jetzt ist Januar 2019, und ich stelle mich der Tatsache, dass sich das Chaos nicht lichten wird. Deshalb fange ich jetzt einfach mit dem Tippen an und schaue, wo es mich bzw. den Text hinführt. Mein Planungs-Fetisch und meine Kreativität passen nicht immer zueinander.

Der Duden führt als Synonyme zu Authentizität Echtheit und Glaubwürdigkeit auf. Nun, dann passt es irgendwie zum Thema, dass ich ganz echt über meine Probleme beim Erstellen dieses Artikels schreibe.

neuland blog bild

Ausgangspunkt: Neuland

Hier ist der Einstieg, wie ich ihn ursprünglich geplant hatte: Vor Kurzem – also mittlerweile fast 9 Monaten – las ich das sehr launische Buch „Neuland: Wie ich mich selber suchte und jemand ganz anderen fand“ von Ildikó von Kürthy (Achtung unbezahlte Werbung!). Eine gute Freundin hatte es mir geliehen. Sie fand es sehr gut und meinte, es würde mir gefallen. Gefallen hat es mir, da die Autorin einen angenehmen, lockeren Schreibstil hat. Sie beschreibt sehr kurzweilig, wie sie in der Mitte des Lebens, also in etwa da, wo ich gerade auch stehe, alles Mögliche ausprobiert von Extensions über Detox, um die beste Version ihrer selbst zu werden. Inhaltlich war ich immer wieder hin und hergerissen, ob ich es jetzt gut fand oder nicht. Über eine Passage bin ich damals besonders gestolpert. Sie ging sinngemäß so: „Momentan sollen alle authentisch sein und sich so zeige wie sie sind. Ich will das gar nicht. Manche Menschen möchte ich nicht in Jogginghosen sehen. Sie sollen sich bitte hübsch anziehen.“ Die Autorin möge mir verzeihen, dass ich hier extrem frei zitiere. Das Buch habe ich vor Monaten seiner Besitzerin zurück gegeben und kann nicht mehr nachschlagen.

Im ersten Moment hatte ich hier spontan zugestimmt. Ganz sicher gibt es viele Menschen, denen ich, wenn ich die Wahl habe, nicht allzu privat begegnen möchte. Im Buch ging es an dieser Stelle um die Teilnahme an einer großen Veranstaltung wofür die Autorin sich mit Designerkleid und professionellem Make-up etc. herausputze und selbiges von den anderen Teilnehmern erwartete.

Kann ich immer unverstellt ich sein?

Was würde ich an dieser Stelle tun als passionierte Jeans-Trägerin, die sich höchstens im Urlaub in Walle-Walle-Strandkleidern wohl fühlt? Natürlich nicht in Jeans aufkreuzen. Ich bin immer noch ich, wenn ich mich einmal chic mache! Ich würde auch kein Prinzessinnen-Kleid tragen oder gar irgendetwas enganliegendes oder knappes. Das wäre nicht mehr ich, und ich würde mich sehr unwohl fühlen. Aber in einem schlichten, langen Kleid oder einem Hosenanzug könnte ich immer noch „echt“ und „glaubwürdig“ sein. Ich bin der Überzeugung, dass ich dem Umfeld angemessen immer einen Weg finden kann, authentisch zu bleiben. Und wenn das tatsächlich nicht mehr funktioniert, wie das bei mir in einem sehr hierarchischen Arbeitsumfeld einmal der Fall war, muss man eine Umgebung finden, die besser passt. Vielleicht bedeutet das auch, eben nicht auf die Veranstaltung zu gehen, für die ich mich „verkleiden“ muss.

Es hat nach dem Lesen der Lektüre tatsächlich etwas gebraucht, bis mir meine Position dazu ganz klar war: Ich bin sicher, dass ich immer unter allen Umständen versuche ganz ich zu sein. Das bedeutet nicht, dass ich respektloses oder unhöfliches Verhalten toleriere. Jeder Mensch sollte ohne sich verbiegen zu müssen anderen gegenüber sensibel auftreten können.

Vielleicht hat das Thema so lange bei mir nachgehallt, weil das Buch mich zum Nachdenken gebracht hat. Ich habe immer wieder überlegt, was meine Position zu den einzelnen Vorhaben der Autorin ist. Was würde ich, wenn ich die Mittel und die Zeit hätte, alles selbst ausprobieren von dem, was die Autorin im Namen der Recherche gemacht hat? Falls du Lust zu solchen Gedankenexperimenten hast, empfehle ich das Buch auf jeden Fall! Ein kleiner Hinweise: Ich würde auf gar keinen Fall blond werden wollen 😊

urlaubs-ich

Selbst wenn ich wollte… Authentisch lebt es sich leichter!

Laut Duden wird der Begriff Authentizität übrigens „bildungssprachlich“ genutzt. Mit dem Thema des Blogs habe ich mich somit auf jeden Fall geoutet. Ich liebe die deutsche Sprache und ich benutze manchmal Wörter, die weniger geläufig sind. Es machen sich Leute durchaus lustig über meine Formulierungen und mein „Bildungsdeutsch“. Damit kann ich aber gut leben, weil es zu mir dazu gehört.

Natürlich lebt jeder von uns verschiedene Rollen. Bei meinen engen Freundinnen trete ich etwas anders auf, als bei den Müttern im Fußballverein. Als Vorgesetzte habe ich zumindest versucht mehr Vorbild zu sein, und auch als Mutter zeige ich manche Seiten von mir vielleicht etwas sanfter. Aber jede Rolle fülle ich auf meine eigene Weise aus. Auch als Mutter hasse ich Chaos und tue deshalb nicht so, als fände ich es toll wenn ich mit meinen Kindern backe und die Küche hinterher ein Schlachtfeld ist. Eine gewisse Ordnung muss sein und aufgewischt wird immer sofort. Viele meiner Freundinnen können in solchen Situationen viel entspannter sein. Ihre Kinder finden das bestimmt besser als meine meinen Ordnungswahn. Trotzdem werde ich mich in meiner Küche nicht verstellen. Irgendwann werden meine Kids darüber lachen können. Wobei, mein Mann schafft das nach über zwanzig Jahren mit mir noch nicht immer…

seekuh

Jeder auf seine Weise

Da der Artikel wie fast immer schon wieder sehr lang geworden ist, werde ich nicht alle verbleibenden Gedanken noch niederschreiben, sondern mich auf zwei zum Abschluss beschränken. Der Rest kommt vielleicht in einem Folge-Beitrag.

Der erste ist: Authentizität wird sehr oft auch im Zusammenhang mit der #bodypositivity Bewegung auf Instagram genannt. Ich finde es schön, wenn Frauen sich ungeschminkt zeigen oder sich selbstbewusst im Bikini präsentieren können. Das sind oft die weit schöneren Fotos als die extrem inszenierten, die manchmal unfreiwillig lustig sind. Aber ich bin auch der Meinung, dass nicht jede Frau jetzt anfangen muss, krampfhaft Bilder von sich mit Augenringen zu posten. Für mich gilt auch hier: Jede und jeder so wie er sich wohl fühlt.

Der zweite ist: Ich bin ein großer Fan von Vielfalt und bin fasziniert von meinen Mitmenschen, die in irgendeiner Form anders sind, als der Mainstream und dazu stehen können. Sie haben oft eine besondere Aura. Allerdings gilt für mich auch hierbei: Ich muss nicht krampfhaft herausstechen aus der Gruppe, wenn ich der stille Typ bin und gut darin, eben „rein zu passen“.

Oft brauchen wir extreme Maßnahmen, damit sich das Pendel ein Stück weit wieder in Balance bringt, aber extrem passt nicht zu jedem. Am liebsten ist mir wahrscheinlich das Motto: Leben und leben lassen.

fels in der brandung

Wissen, woran man ist

Dieses letzte Bild zeige ich, weil weitere Synonyme für Authentizität Sicherheit und Verlässlichkeit sind. Es ist schön, wenn ich weiß, woran ich bei jemandem bin und er als Person für mich verlässlich greifbar bleibt. Das möchte ich auch für andere sein.

Die Fotos sind übrigens alle 2015 bei einem Urlaub auf den Azoren entstanden. In einem Jahr, in dem ich mich sehr fremdbestimmt und unglücklich damit gefühlt habe. In diesem Urlaub im Oktober mit meiner Familie war ich dann wieder sehr angekommen bei mir.

Für alle, die es bis zum Ende geschafft haben: Wie wichtig findest du es, selbst authentisch zu sein, und dass die Menschen in deiner Umgebung das leben? Weißt du immer genau, wer du bist oder bist du auch manchmal unsicher bei der Frage? Ich freue mich wie immer sehr auf Austausch.

Liebe Grüße!

2 Kommentare zu „Authentisch sein oder lieber nicht?

  1. Ich finde es sehr wichtig, authentisch zu sein, und bin laut meiner Umwelt auch immer ich selbst auch in meinen verschiedenen Rollen, was zum Beispiel meine Kinder und meine Schüler cool finden, meine Schulleitung manchmal nicht so…

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    1. Hallo wechselweib, vielen Dank für deinen Kommentar! Das kenne ich auch, dass meine Kollegen das eher positiv fanden, dass ich mich nie verstellt habe, und meine Vorgesetzten leider nicht immer. Ich finde es wichtig, sich trotzdem nicht zu verbiegen und zu seinen Überzeugungen zu stehen. Schön, dass es Gleichgesinnte gibt! 😊

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